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Analyse

Zum besseren Verständnis wird im Folgenden das im Dossier erläuterte Thema kurz aus mehreren Perspektiven analysiert. Mit Hilfe eines Situationswürfels und einer Einordnung in das Analyse-Schema nach Senghaas, welches sich mit den Auswirkungen auf den Vergemeinschaftungsgrad auseinandersetzt, werden Sie die Möglichkeit haben Ihre bis jetzt erworbenen Kenntnisse zu vertiefen.
Typus von Krise - Bedeutet die Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit automatisch auch eine Bedrohung des Friedens in Europa?
Sowohl in Polen als auch in Ungarn handelt es sich um eine Funktionskrise, da im Fall Polens eine gesellschaftliche Gruppe potentielle Problemlösungsstrategien ablehnt und daher alternative Lösungen oder den Wechsel des politischen Personals fordert. Die Krise ist ebenfalls innenpolitisch, da die Opposition immer wieder Proteste organisiert. Im EU-Kontext „funktioniert“ Rechtstaatlichkeit, in Polen aufgrund der ständigen Forderungen eher weniger. Die Regierungspartei (PiS) regiert dennoch dank dem hohen Zuspruch der Bevölkerung. Die Bevölkerung Polens ist bezüglich der Anerkennung dieser Krise gespalten. Wie auch früher erwähnt, gibt es in Ungarn ebenfalls eine Funktionskrise, vor allem aus Sicht der EU. Die Regierung hat auch hier die Mehrheit des Volkes hinter sich. Eine „Krise“ nehmen daher besonders junge Menschen wahr, die mit den herrschenden Regierungen nicht übereinstimmen. Jedoch gab es in letzter Zeit immer mehr Proteste, wodurch sich die Funktionskrise zu einer Legitimationskrise entwickeln könnte. Aktuell ist die Krise des Wertkonsens in Europa aber im Wesentlichen noch eine Funktionskrise.
Situationswürfel
Im Fall der Gefährdung des Rechtsstaates ist das Bedrohungspotential besorgniserregend, da der Erhalt des Systems durch die radikalen Änderungen gefährdet wird.  Während die Konsequenzen für Ungarn ziemlich absehbar waren, waren die Reaktionen innerhalb Polens, in welchem es so gut wie keine Reaktionen darauf gab, überraschend. Infolgedessen ist die Krise in Ungarn größer als in Polen, kann aber nicht als Bedrohung des inneren Friedens in Europa interpretiert werden.
Der Situationswürfel. [Quelle: Darstellung von Alexander Kobusch [Uni Tübingen] nach Hermann, Charles F. 1973: „Indikatoren internationaler politischer Krisen“; in: Jänicke, Martin (Hg.): Herrschaft und Krise. Beiträge zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung, Opladen: Westdeutscher Verlag (UTB), 44-63, S.53.]
Polen:
  • Funktionskrise
  • Bedrohungspotential: recht hoch, da universelle Werte der EU verletzt, allerdings nicht derart, dass EU droht daran zu zerbrechen
  • Reaktionszeit: nicht extrem begrenzt, aber dennoch dringend
  • Voraussicht: sehr überraschend
  • Einordnung: in Richtung der Mitte der Fläche ABC
 
Ungarn:
  • Funktionskrise
  • Bedrohungspotential: größer, als in Polen, da radikalere Änderungen und Austrittsdrohungen
  • Reaktionszeit: nicht extrem begrenzt, aber dennoch dringend
  • Voraussicht: absehbarer, als in Polen
  • Einordnung: größere Krise, als in Polen
 
Europa:
  • Funktionskrise
  • Bedrohungspotential: groß, insbesondere wegen der Bedrohung für den Erhalt des Systems
  • Reaktionszeit: nicht extrem begrenzt, aber dennoch dringend
  • Voraussicht: absehbar
  • Einordnung: in der linken unteren Ecke des Quadrats ABCD.
Handlungsalternativen
Schließlich muss die Frage gestellt werden, welche Handlungsalternativen die Akteure der EU wählen. Um die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU zu sichern, leitete die EU gegen Polen 2016 ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren der [1] ein.
Der polnische Präsident hat bis jetzt Gegenvorschläge für die umstrittene Justizreform der Regierung gemacht und eine Verfassungsänderung ins Spiel gebracht[2]. Durch diese Änderung würde der Präsident mehr Mitsprache haben und den Einfluss der Regierung im Fall einer Benennung vom oberster Richter reduzieren. EU-Vizekommissionspräsident Timmermans warnt vor der Aushöhlung des Rechtsstaats in Polen und versucht über den Einfluss der Mitgliedsstaaten den Druck auf Polen zu erhöhen[3]. Vom Einsatz von Artikel 7 soll zunächst abgesehen werden, das Verfahren wird aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen[4].
 
Die europäische Kommission ging 2017 ebenfalls rechtlich gegen Ungarn vor. Anlass war das neue Hochschulgesetz Ungarns', welches gegen geltendes EU-Recht verstößt[5] da in diesem Fall über schwerwiegenden Verstößen gegen die demokratischen Grundwerte der EU die Rede sei. Die Entwicklungen in Ungarn unter der rechtsnationalen Regierung von Viktor Orbán hätten in den vergangenen Jahren zu einer erheblichen Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Grundrechte geführt[6], Rechte wie die Meinungsäußerung, die akademische Freiheit, die Menschenrechte von Migranten, Asylbewerbern und Flüchtlingen sowie die Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt worden. Ungarn hat ein großes Problem bezüglich der mehrfachen Korruptionsfällen und die Vernachlässigung der Rechte der Minderheiten sollte auch berücksichtigt sein werden. Die EU-Kommission beginnt daher den Dialog mit ungarischen Behörden, anderen Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament. Gegen das Land hatte die EU-Kommission Anfang vergangenen Jahres ein Verfahren wegen einer umstrittenen Justizreform eingeleitet.[7]
Einordnung der Situationen in Polen und Ungarn in Senghaas´ Komplexprogramm
Quelle: Eigene Darstellung.
Der Analysemodell ist aber kritisierbar, da die Differenzen zwischen den AkteurInnen und der EU offensichtlich sind. Dennoch reagierte die EU vorerst nicht. Daraus ergibt sich die Frage ob man eigentlich von einer Krise reden darf, wenn nur die gemeinsame Wertebasis bedroht wird und vielleicht noch auch ob Senghaas Komplexprogramm zur Einordung solcher Problematiken geeignet sei.
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Fazit
Sowohl in Polen als auch in Ungarn kann nicht die Rede von einer Gefährdung des inneren Friedens in Europa sein.
Man sollte dennoch beachten, dass die Situation ein möglicher Ausgangspunkt für weitere desintegrative Dynamiken sein könnte und bzw. eine weitere Nutzung des Feinbild EU. Die Handlungsoptionen sind begrenzt da die Einmischung der EU offensichtlich notwendig ist, nährt aber damit zusätzlich das Fremdbestimmungs-Narrativ von Staaten wie Ungarn und Polen. Eine Möglichkeit die längerfristig ist wäre der Aufbau einer europäischen Öffentlichkeit, die Ausbildung einer europäischen Identität und damit auch die Angleichung der Lebensverhältnisse.
Quellen

[1] Europäische Kommission 2016
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/polen-justizreform-117.html
[3] Krupa, M.; Wefing, H.; Ladurner, U. (2017): Wie gefährlich sind diese Männer für Europa, Herr Timmermans?, unter: http://www.zeit.de/2017/19/polen-ungarn-eu-kommission-frans-timmermans-viktor-orban-jaroslaw-kaczynski
[4] Krupa, M.; Wefing, H.; Ladurner, U. 2017
[5] Europäische Kommission 2017
[6] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-05/ungarn-europaparlament-eu-verfahren-sanktionen
[7] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-05/ungarn-europaparlament-eu-verfahren-sanktionen


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