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Konfliktanalyse

Wie und warum man eine Konfliktanalyse durchführt erklärt Ingo Henneberg für das Ringseminar Konfliktanalyse in diesem Videovortrag.
2.1 Konfliktparteien
Bei den Brexit-Verhandlungen stehen sich die EU und Großbritannien gegenüber. Es geht vor allem darum wie die Austrittsverhandlungen ablaufen und wie die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien nach dem Brexit ausgestaltet werden sollen. Nachdem Großbritannien am 23. Juni 2016 den Austritt durch ein Referendum bestimmt hat, gilt es diese Entscheidung nun umzusetzen. Warum die Entscheidung der Bevölkerung so ausgefallen ist, wird unterschiedlich begründet. Psychologe Will Davis geht davon aus, dass die Befürworter des Brexit sich nach der Möglichkeit autark handeln zu können sehnen. Dies müsse nicht zwingend in einem neoliberalen Sinne sein, jedoch aber in einem kommunalen, familiären und brüderlichen Sinne.[1] Das Ziel des Austritts und dessen Werbeslogan „ take back control“ erinnert ein wenig an die US-Wahl und hat zum Ziel wieder selbst die Handlungen des Landes kontrollieren zu können. Man verspricht sich durch den Brexit das Gefühl der Missverhältnisse innerhalb der EU und besonders innerhalb Großbritanniens auslöschen zu können. Diese psychologischen Reize von Autonomie und aufgebautem Selbstwertgefühl spielen hier eine entscheidende Rolle. Besonders Nigel Farage ist eine entscheidende Stimme des Brexit. Sowohl die wirtschaftliche Ungleichheit innerhalb Europas als vor allem auch die Wahrung der eigenen Werte, sind hier wichtige Indikatoren für die Brexit-Entscheidung. Hierbei sind die „Leave“-Stimmen explizit abhängig von Alter, Bildung, der nationalen Identität und der Ethnizität der Wähler.[2]

Die EU tritt in den Verhandlungen mit einer geschlossenen Haltung der verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten auf: „ Wir wollen auch in Zukunft gute Beziehungen zu Großbritannien, aber wir wollen auch als EU27 unsere Interessen gemeinschaftlich vertreten“ so Angela Merkel auf dem letzten Brexit-Gipfel im April 2017.[3] Man bedauert den Brexit auf Seiten der übrigen Mitgliedstaaten der EU sehr, muss nun jedoch ein Gleichgewicht zwischen "hartem" und "softem" Brexit finden. Denn bei einer entgegenkommenden Lösung befürchtet man einen möglichen Dominoeffekt innerhalb der restlichen Mitgliedsstaaten. Außerdem kann die EU ihre Glaubwürdigkeit auf globaler Ebene verlieren. Es bleibt ebenfalls umstritten, inwieweit die EU nach dem Austritt ihrer zweitgrößten Volkswirtschaft, und den ohnehin starken Fliehkräften, weiterhin als unumstrittenes Ordnungsmodell für den europäischen Kontinent gelten kann.
2.2 Konfliktgegenstand
Der Hauptstreitpunkt der Parteien bezieht sich auf das Verfahren des Austritts. Premierministerin Theresa May fordert eine gleichzeitige Vereinbarung eines ehrgeizigen Freihandelsabkommens mit dem Austrittsvertrag. Sie ist der Meinung, Großbritannien müsse über die Bedingungen informiert werden, unter denen es aus der EU austritt. Dem widerspricht jedoch der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, und ist der Meinung, dass: "citizens’ rights, financial obligations and the border in Ireland must be dealt with before trade talks start” (...). Denn diese Themen können zu Gefahren für alle Parteien ausarten. Deshalb sollen sie laut beteiligten EU-Ländern mit erster Priorität geklärt werden. Die EU strebt also eine Verhandlung in zwei Phasen an. Wobei jedoch erst in der zweiten Phase ein neues Freihandelsabkommen gestaltet werden soll.
In der ersten Phase gilt es zu klären, ob EU Bürger weiterhin in Großbritannien wohnen und arbeiten dürfen. Genau dieselbe Regelung soll dann auch anders herum zur Geltung kommen. Denn durch den Brexit scheidet Großbritannien sowohl aus dem "Schengener Abkommen", als auch aus dem Binnenmarkt aus.
Außerdem muss über die sogenannte EU-Rechnung debattiert werden. Hierbei fordert die EU eine immer weiter wachsende Summe, welche aktuell von 60 Milliarden auf 100 Milliarden Euro gestiegen ist. Diese Summe kommt aus in der Vergangenheit getätigten Zusagen an den EU-Haushalt, Fonds, Kreditprogramme etc., welche jedoch noch weit in die Zukunft hinein reichen. Großbritannien ist nach jetzigem Standpunkt jedoch nicht bereit nach dem Austritt Gelder an die EU fließen zu lassen.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Außengrenze zu Irland. Schließlich sind die Nordiren nicht nur direkte Grenznachbarn, sondern profitieren auch zum Beispiel wirtschaftlich immens von den Iren auf der europäischen Seite. Daneben gibt es noch weitere kleinere Konflikte, die es während der Austrittsverhandlungen zu klären gilt. Diese reichen von den Umzügen der EU-Behörden bis zur Zukunft Gibraltars.

Doch trotz des großen Konfliktpotenzials sind sich die EU und Großbritannien einig, dass die künftigen Rechte der EU- Bürger in Großbritannien sowie die der Briten in der EU schnellst möglich geklärt  und bindende Vereinbarungen diesbezüglich getroffen werden müssen. Es ist das gemeinsame Ziel zusammenzuhalten, um die Brüche so gering wie möglich zu halten. Außerdem sollen auch die Unternehmen einen möglichst geringen Schaden davontragen. Da beiden Seiten klar ist, dass ein harter Brexit ohne Anschlussregelungen für Bürger und Unternehmen ein Desaster wäre, ist die Chance auf eine Einigung groß.
2.3 Konfliktaustragungsform
Auf Basis der Verhandlungen ist es das Ziel mit beidseitigem Einverständnis ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts und den Rahmen zukünftiger Beziehungen festzulegen. Hierzu erstellte die EU bei einem EU-Gipfel am 29. April 2017 Leitlinien für die Verhandlungen und ihr Auftreten. Zusätzlich wurde ein Mandat gebildet, welches sich ausschließlich mit den Brexit-Verhandlungen beschäftigen wird. Dieses Mandat fällt dem ehemaligen Außenminister Frankereichs, Michel Barnier, zu. Er wird durch ein Verhandlungsteam unterstützt. Das gesamte Verhandlungsteam ist der Europäischen Kommission unterstellt. Auch in Großbritannien hat man eine ähnliche Stelle geschaffen, welche von David Davis besetzt ist.
Die Verhandlungen sollen so transparent wie möglich verlaufen, sodass die öffentliche Debatte durch ausführliche Informationen beeinflusst werden kann. Außerdem sollen ausführliche Gespräche verschiedenster Diplomaten stattfinden. [4] Es ist also deutlich erkennbar, dass beide Parteien darauf aus sind, eine möglichst friedliche Lösung zu finden, durch welche geringe Nachteile auf beiden Seiten entstehen sollen.
Der formale Prozess der Konfliktaustragung begann mit der Auslösung von Artikel 50 des Vertrages der Europäischen Union durch die britische Premierministerin Theresa May. Dem EU-Chef-Unterhändler Michel Barnier und seinem Team steht im Rahmen der Brexit-Verhandlungen David Davies gegenüber, der zuständige Minister der May-Regierung für den EU-Ausstieg Großbritanniens. Nachdem die britische Regierung am 27. März 2017 offiziell ihren Austrittsantrag aus der Europäischen Union sowie den Austritt aus EURATOM durch die Auslösung des Artikels 50 beim Europäischen Rat gestellt hat, einigten sich die verbliebenen EU27 vergleichsweise schnell auf einen gemeinsamen Kurs mit Blick auf die Ausstiegsverhandlungen. In diesem Kontext wurden schon viele Monate zuvor, genauer gesagt am 29.06.16, die sogenannten „Core Principles“ für die Brexit-Gespräche von den jeweiligen Staatsoberhäuptern sowie Regierungsvertretern der Mitgliedsstaaten, dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission formuliert. Diese Prinzipien bilden seitdem sowohl die unumstrittene konzeptionelle Grundlage, als auch die strategische (Ver-)handlungsmaxime aus EU-Sicht.

Während Großbritannien als Nationalstaat (zumindest theoretisch) aus einer einzelnen, festgelegten Verhandlungsposition heraus argumentieren kann, muss die Europäische Union auf der anderen Seite ihre Vielzahl an nationalstaatlichen Perspektiven und Interessen berücksichtigen. Trotzdem legt der Europäische Rat in den gemeinsamen Leitlinien hinsichtlich Ausstiegs Großbritanniens aus der EU als ersten Punkt fest, dass die Europäische Union als ein „single actor“ in die Verhandlungen geht, um damit bestmögliche Outcomes für jeden ihrer Mitgliedsstaaten zu gewährleisten. Als ein zentraler Punkt der Form der Konfliktaustragung gilt sicherlich die potenzielle Chance auf ein Scheitern der Verhandlungen. Insbesondere von Seiten der Europäischen Union wird diese Möglichkeit schon im Brexit-Konzeptpapier mit einkalkuliert: „The Union (…) will prepare itself to be able to handle the situation also if the negotiations were to fail“[5]. Ferner sorgt die von Seiten der EU aufgestellte Maxime, dass ein Ergebnis der Verhandlungen nur in Form eines Komplettpaketes akzeptiert werden kann, dafür, dass individuelle Policy-Felder bzw. Themengebiete nicht einzeln außerhalb des Verhandlungsgeflechtes verhandelt werden dürfen - die vier Freiheiten der EU gibt es nur gemeinsam („nothing is agreed until everything is agreed“, [6]). Dieses Prinzip soll einer aus Sicht Brüssels befürchteten „Rosinenpickerei“ der britischen Regierung einen Riegel vorschieben.
Generell ist der Verhandlungsprozess zum EU-Ausstieg Großbritanniens als ein Phasenprozess durchstrukturiert, d.h. ein Themengebiet kann von beiden Seiten erst angegangen werden, wenn die vorherige Verhandlungsphase vollständig abgeschlossen ist. Dieser sogenannte „phased approach to negotiations“[7] ist darüber hinaus zeitlich limitiert: Der in Artikel 50 EUV festgelegte Zeitraum der Ausstiegsverhandlungen ist auf zwei Jahre festgelegt; damit endet die Einigungsfrist am 29.03.19. Ein eventueller Folgevertrag zur Regelung der Anschlussbeziehungen zwischen der Europäischen Union und einem Nicht-EU-Großbritannien darf dementsprechend erst ausgehandelt werden bzw. in Kraft treten, wenn der Austrittsprozess vollständig abgeschlossen und das Vereinigte Königreich den Status eines eigenständigen „Drittstaates“ besitzt.
2.4 Institutionen der Konfliktbearbeitung
Wie bereits betont, legt der Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union die groben Leitplanken für die Austrittsgespräche zwischen Großbritannien und der EU fest. Das Vereinigte Königreich muss die Union in diesem Kontext im Rahmen der angesprochenen Zweijahresfrist rechtskräftig verlassen haben, sofern es bis Fristende keine einstimmige Aussprache seitens der EU-Staaten für eine Verlängerung der Verhandlungen gibt. Am Ende des Austrittsprozesses muss ein Abkommen stehen, welches sowohl den Austritt selbst, als auch die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien – zumindest den Rahmen – regeln bzw. festlegen soll. Dieses Abkommen muss im Anschluss erst einmal die Zustimmung vom EU-Parlament erhalten, bevor es abschließend im Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit final beschlossen werden kann. Erst dann ist es aus EU-Perspektive offiziell ratifiziert.
Mit Blick auf die einzelnen Institutionen zur Konfliktbearbeitung stehen der Regierung Großbritanniens auf EU-Seite maßgeblich federführend der Europäische Rat sowie die Europäische Kommission gegenüber. Die Koordinierung fällt in diesem Kontext dem bereits angesprochenen Chef-Unterhändler der Europäischen Union zu, welcher sich jedoch eng mit allen EU-Mitgliedsstaaten abstimmen muss. Damit wird deutlich, dass neben den verantwortlichen EU-Institutionen auch den Regierungen bzw. Staatsoberhäuptern der einzelnen Mitgliedsstaaten eine besondere Bedeutung beizumessen ist. Selbstverständlich kommt auch dem EU-Parlament, als das einzig direkt vom Volk demokratisch legitimierte EU-Organ, eine große Wichtigkeit zu; nicht nur als politische Arena und Plattform des Diskurses, sondern wie bereits verdeutlicht ebenfalls durch prozessuale Zuständigkeiten (wie beispielsweise die Zustimmung zum finalen Ausstiegsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union).

3. Gefährdungsanalyse

3.1 Welche politischen Teilsysteme sind bedroht?
Mit dem Ausstieg des zweitstärksten Mitglieds der EU verliert diese vor allem einen Teil ihrer wirtschaftlichen und globalpolitischen Kraft. Betrachtet man die EU also von der Außenperspektive, so wird sie auf internationaler Ebene als kleiner und schwächer wahrgenommen als zuvor. Dementsprechend hat der Brexit außenpolitisch eine große Symbolwirkung für die Krise der EU. Das alleine reicht jedoch nicht aus, um die EU als politisches System zu bedrohen.
Innereuropäisch ist die Sorge über einen Dominoeffekt  sehr groß, da sich mehr und mehr unter rechtspopulistischen Parteien von rechts, aber auch von links, eine Anti-EU-Stimmung breit macht. Dieses Problem betrifft nicht nur Frankreich, sondern beispielsweise auch Ungarn, Polen, Niederlande, Dänemark und auch Deutschland. Hier kann man eine Tendenz zur Renationalisierung erkennen.
 
Die bisherigen Auswirkungen des Brexit auf die EU werden vor allem im wirtschaftlichen Bereich verortet. Prognosen, wie sich der Brexit im Ganzen auf die EU auswirkt, sind zum Teil noch vage und widersprechen sich (das sieht man insbesondere im Hinblick auf die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik).  Man kann jedoch mit Sicherheit sagen, dass der Brexit das Mächtegleichgewicht innerhalb der EU weiter destabilisiert und die Dominanz Deutschlands befördert (befördern kann).
Eine Bedrohung für die EU Institutionen, wie beispielsweise für den Europäischen Rat oder das Europäische Parlament, stellt der Brexit allerdings nicht dar. Man sollte hier trotzdem festhalten, dass nach dem Brexit die Forderungen nach Reformen für die EU lauter werden. Die Reformvorschläge zielen vor allem darauf ab, die europäischen Institutionen handlungsfähiger zu machen, ohne die Souveränität der Mitgliedsstaaten weiter zu beschränken und stärker demokratisch zu legitimieren. Ebenso sind Reformvorschläge in der Diskussion, die der hohen Bürokratisierung der EU Einhalt gebieten wollen. Angesichts des Brexit kann man sagen, dass eine europäische Diskussion über EU-Reformen notwendig ist, um einer fortschreitenden Erosion der EU entgegenzuwirken.
 
Hinsichtlich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bedeutet der Brexit für die EU, den Verlust eines wesentlichen Akteurs dieses Politikfeldes, da Großbritannien über die stärkste Armee der europäischen Gemeinschaft verfügt. Wie genau die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU ohne Großbritannien zukünftig aussehen wird, ist daher noch unklar.
Die militärische Bedeutung Großbritanniens auf internationaler Ebene wird sich jedenfalls kaum ändern, da Großbritannien sowohl Mitglied der NATO als auch der Permanent Five des UN Sicherheitsrates ist. Dies bedeutet aber für die EU als Einheit auf internationaler Ebene vor allem ein Bedeutungsverlust bezüglich der Sicherheitspolitik. Dennoch gibt es Prognosen darüber, dass der Brexit für die EU eine Chance sein kann, in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik näher zusammenzurücken. Ein Beispiel für eine Stärkung könnte die Einführung einer europäischen Armee sein, gegen die sich Großbritannien bisher vehement gewehrt hat. Das heißt, dass durch den Verlust Großbritanniens zwar ein starker Partner verloren geht, jedoch auch Entscheidungsfreiheiten dazugewonnen werden - überspitzt formuliert. 
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Brexit die EU herausfordert ihre politischen Teilsysteme zu überdenken und gegebenenfalls neu zu begründen. Eine akute Bedrohung des ganzen Systems oder einzelner Institutionen stellt der Brexit jedoch zunächst einmal nicht dar.
 
Bedrohlich könnte der Brexit nur für Nordirland werden, welches bei dem Referendum zusammen mit Schottland für den Verbleib in der EU gestimmt hat. Problematisch wäre hier insbesondere die Einführung von Grenzkontrollen an der Grenze von Nordirland und der Republik Irland. Zusätzliche Infos dazu, können Punkt 3.5 entnommen werden.
3.2 Welche Systemziele sind bedroht?
Zunächst soll an dieser Stelle Prof. Dr. Karen E. Smith zu Wort kommen. In ihrem Vortrag diskutiert sie die Auswirkungen des Brexits auf den Frieden innerhalb der EU, aber sie berücksichtigt auch die Folgen für das Europa jenseits der EU und weitet den Blick für das gesamte internationale Parkett. Größeren Raum in ihrem Vortrag nimmt die ungeklärte Frage um die geteilte irische Insel, sowie die Frage nach der europäischen Freizügigkeit in einem Post-EU-Großbritannien ein.
Karen E. Smith ist Professorin für Internationale Beziehungen an der London School of of Economics and Political Science (LSE), wo sie sich in Ihrer Forschung vor allem mit den internationalen Beziehungen der Europäischen Union beschäftigt. Eine Internetrepräsentation von Prof Smtith finden Sie unter: http://www.lse.ac.uk/researchAndExpertise/Experts/profile.aspx?KeyValue=k.e.smith%40lse.ac.uk
A) Gewaltfreier Konfliktaustrag
 
Geht man davon aus, dass Konflikte terroristische Akte provozieren, zumindest begünstigen, läge in dem Ausstieg Großbritanniens aus der gemeinsamen Terrorismusbekämpfung mit den verbleibenden 27 EU-Staaten ein gewisses Bedrohungspotenzial. Theresa May hat sehr deutlich gemacht, dass sie in den Verhandlungen zwischen GB und der EU die Kooperation in Sicherheitsfragen an die Entwicklung und Begünstigungen bezüglich der Handelsbeziehungen knüpfen wird. In anderen Worten, sie setzt GBs Einsatz in der gemeinsamen Terrorismusbekämpfung als Druckmittel ein, für einen besseren Standpunkt in den Verhandlungen um die Basis des zukünftigen Handels zwischen den Parteien. Da GB jedoch ebenfalls unter einem zunehmenden Terrorismus leiden würde, ist das Bedrohungspotenzial relativ gering einzuschätzen.[8]
 
Deutlich höher ist die Bedrohung unter dem Gesichtspunkt Konfliktaustrag für Nordirland und die Republik Irland. Die davon betroffene Region wurde nach lang anhaltenden gewaltsamen Konflikten maßgeblich 1998 durch das „Good Friday Agreement“ befriedet. Dieses Abkommen basiert jedoch auf der Mitgliedschaft Irlands sowie Großbritanniens in der EU. Derzeit ist die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland quasi offen. Durch ein mögliches Ausscheiden Großbritanniens aus dem Binnenmarkt und der Zollunion (siehe 3.2.B)) könnte dieser offene Übergang sein Ende finden. Der in den letzten Jahren aufgebaute Frieden in dieser Region könnte durch den Brexit einen erheblichen Schaden nehmen und eventuell in neue gewaltsame Konflikte münden.[9]
 
B) Gesamtgesellschaftlicher Wohlstand
 
Da zum derzeitigen Standpunkt der Verhandlungen die zukünftige Form des Wirtschaftens zwischen Großbritannien und der EU noch nicht abzusehen ist, sind die Auswirkungen auf den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand in Bezug auf den Handel nicht abzusehen. Wie bereits zuvor erläutert, könnte es zu einem „harten" Brexit kommen, bei welchem GB aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion ausscheidet und es während der Verhandlungen innerhalb der nächsten zwei Jahre zu keiner Einigung auf ein Handelsabkommen kommt. Dies würde bedeuten, dass der Handel zwischen GB und der EU auf der Basis der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) laufen würde, was mit Zöllen und der daraus folgenden Einschränkung von Produktionsketten verbunden wäre. Wirtschaftlich schaden würde ein „harter" Brexit demnach beiden Seiten, GB und der EU. Entscheiden sich die Parteien für einen „weichen" Brexit, käme es womöglich zu einem Freihandelsabkommen zwischen GB und der EU, was weniger gravierende wirtschaftliche Auswirkungen mit sich bringen würde. 
 
Des Weiteren fordert die EU-Kommission einen Betrag von mehreren Milliarden Euro von GB für noch ausstehende langfristige Verpflichtungen für Projekte (z.B. Forschungsprogramme), welche GB während seiner EU-Mitgliedschaft eingegangen ist sowie für Pensionslasten von EU-Beamten. Wie hoch die zu leistenden Zahlungen wirklich ausfallen werden, entscheidet sich jedoch ebenfalls erst in den folgenden Verhandlungen der nächsten zwei Jahre. EU-intern muss jedoch eine Lösung gefunden werden, wie die entstehende Lücke im EU-Haushalt ausgeglichen werden kann. Dabei besteht die Gefahr, dass strukturschwache Regionen unter Ausgabenkürzungen leiden könnten.[10][11]
 
C) Achtung der Menschen- & Bürger/innenrechte / Rechtsstaatlichkeit

Dieses Systemziel ist im Zusammenhang mit dem Brexit ausgedehnter zu betrachten. Zunächst scheint es, als sei dieses Ziel nicht durch den Brexit beeinträchtigt. Betrachtet man jedoch zwei der elementaren Grundsätze der EU-Gemeinschaft „Erweiterung“ sowie „Nachbarschaftsbeziehungen“ wird deutlich, dass der Brexit die Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Drittstaaten bedrohen könnte.
 
Untersucht man zunächst das grundsätzliche Ziel der EU-Erweiterung, besteht die Möglichkeit, dass mit dem Austritts GBs einem ehemals großen Unterstützers dieses Ziels, die Bestrebungen der EU gedämpft werden. Diese Dämpfung wird dadurch verstärkt, dass die verbleibenden 27 EU-Staaten in der kommenden Zeit viele Energien in die Verhandlungen des GB Austritts, ebenso wie in den Zusammenhalt der verbleibendenden Staaten, investieren werden und müssen. Die Verhandlungen zu potentiellen neuen Mitgliedstaaten könnten maßgeblich darunter leiden. Durch einen verminderten Druck auf diese Staaten ihre staatlichen Prinzipien und Werte denen der EU-Gemeinschaft anzugleichen, werden dort evtl. Missachtungen der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit begünstigt. Das gilt gleichermaßen für den Rückzug GBs aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der in seiner Position und seinem Anspruch dadurch empfindlich geschwächt wird. (Ausführlicher dazu auch im nachfolgenden Analyseteil)
 
Art. 8 Abs.1der EUV regelt u.a. die Nachbarschaftspolitik der EU. Er besagt: „Die Union entwickelt besondere Beziehungen zu den Ländern in ihrer Nachbarschaft, um einen Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft zu schaffen, der auf den Werten der Union aufbaut und sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet.“ Die Werte der Union sind in Art.2 S.1 EUV genannt. Der Nachbar Russland gilt als kritisch zu betrachten, da er vermehrt diesen Werten zuwider handelt, innen- sowie besonders außenpolitisch. Großbritannien galt bis jetzt als ein starker Unterstützer von Sanktionen gegenüber Russland. Der Brexit bedingt das Wegfallen dieser Unterstützung und ist somit eine Bedrohung zumindest betreffend der Menschenrechtslage in Staaten der „Grey Zone of insecurity“, Staaten zwischen der EU und Russland.[12]
 
D) Demokratische Entscheidungsfindung und Minderheitenschutz
 
Die demokratische Entscheidungsfindung der EU könnte beeinträchtigt werden, da Deutschland durch den EU-Austritt Großbritanniens eine noch dominantere Rolle zugetragen werden könnte. Dadurch bestünde die Möglichkeit einer Einschränkung des Systemziels der Demokratie. Dies scheint jedoch unwahrscheinlich.
Möglich ist jedoch eine negative Auswirkung auf Drittstaaten, aus den gleichen Gründen wie bereits in 3.2.C) beschrieben.
3.3 Krisentypus
Im Fall des Brexit liegt eine Legitimationskrise vor. Denn im Zuge der negativen Äußerungen Großbritanniens und Ablehnung der Themen wie die gemeinsame Lösungsfindung bezüglich der EU-Flüchtlingspolitik oder der Währungsunion, ist die Legitimität des gesamten Systems der EU nicht nur in Zweifel gezogen, sondern es wird der EU gänzlich die Legitimität abgesprochen. Auf Grundlage des Art. 50 EUV hat Großbritannien beschlossen aus der Union auszutreten, was bedeutet, dass die Verträge der EU, nach Ablauf der maximalen zweijährigen Verhandlungsdauer, für Großbritannien keine legitime Basis mehr darstellen.
Ob das politische System der Union durch den Brexit massiv beschädigt wird, ist unwahrscheinlich. Jedoch bestärkt er die Forderungen nach Reformen wie in 3.1 beschrieben.

3.4 Handlungsalternativen

Handlungsalternativen gibt es für den Brexit nicht. Der Brexit ist beschlossen und Großbritannien wird aus der EU austreten. Für beide Parteien – die EU und Großbritannien – stehen nun die Austrittsverhandlungen an erster Stelle. Wie bereits in Teil 1 Konfliktanalyse beschrieben, werden Verhandlungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit, den visalosen Reiseverkehr und die Zollfreiheit im Vordergrund stehen.
European Parliament 2017: Red lines on Brexit negotiations
Das Europäische Parlament hat hierzu Bedingungen aufgestellt, unter denen die EU die Brexit-Verhandlungen führen möchte. Für die EU können zudem in 3.1 angesprochenen Reformen eine Handlungsalternative sein, um weitere Forderungen von EU-Mitgliedsländern nach einem Austritt zu vermeiden.
Interessant ist vor allem welche Handlungsalternativen nun für Nordirland und Schottland bestehen, da diese mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt haben. Vor allem einen "harten" Brexit, also auch einen Ausstieg aus der Zollunion und dem europäischen Binnenmarkt, lehnen Schottland und Nordirland ab.
Schottland versucht nun erneut ein Unabhängigkeitsreferendum zu initiieren, jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Zentralregierung in London dem noch einmal zustimmt sehr gering. Auch innerhalb Schottlands ist es unklar, ob überhaupt eine Mehrheit für eine Unabhängigkeit bestünde. Obwohl die Forderung nach einem "harten" Brexit die Unabhängigkeitsbewegung Schottlands angefeuert hat, würden nach neuesten Umfragen nur 45% für die Unabhängigkeit und 55% dagegen stimmen. Nordirland wird durch den Austritt aus der EU vor mehrere Herausforderungen gestellt. Zum einen ist Nordirland stark von EU-Fördergeldern abhängig und zum anderen wäre die Grenze zur Republik Irland die einzige Grenze des Vereinigten Königreichs zur EU. Derzeit existiert die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland nur auf dem Papier und so sind auch die wirtschaftlichen Sektoren der beiden Teile Irlands stark miteinander verzahnt. Befürchtet wird jedoch, dass eine harte Grenze zu einer Zerrüttung des Friedensprozesses in Nordirland führt.
Das EU-Parlament hat sich zwar als Bedingungen für die Brexit-Verhandlungen für den Erhalt des Friedensprozess und gegen eine harte Grenze ausgesprochen, dennoch ist unklar, wie genau sich das Verhältnis bezüglich der Grenzziehung zwischen Nordirland und der Republik Irland entwickeln wird. Denkbar wäre auf jeden Fall eine Art weiche Grenze zwischen den Ländern, in der es zwar Zollkontrollen gibt, jedoch ohne den Bau einer sichtbaren Grenze mit Grenzposten.

Diese Herausforderungen lassen aber auch in Nordirland die Stimmen nach einer Wiedervereinigung mit der Republik Irland lauter werden. Ein Referendum wäre nach dem Karfreitagsabkommen möglich.
Demoskopische Erhebungen zu Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland im Zeitraum zwischen Brexit-Referendum und dem bei der EU eingereichten Austrittsgesuch. [http://whatscotlandthinks.org/questions/how-would-you-vote-in-the-in-a-scottish-independence-referendum-if-held-now-ask#bar (Letzter Zugriff: 15.05.2017)]
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Weiterführende Literatur
Die folgenden Hintergrundartikel und Übersichten könnten Sie auch interessieren:
Quellen

[1] Davies, Will (2016): ‘Thoughts on the Sociology of Brexit’, in The Brexit Crisis: A Verso Report (London: Verso); also at http://www.perc.org.uk/project_posts/thoughts-on-the-sociology-of-brexit/ (Letzter Zugruff: 03.05.2017).
[2] Kaufmann, Eric (2016): It’s NOT the economy, stupid: Brexit as a story of personal values. British Politics and Policy at LSE (07 Jul 2016) Blog Entry. http://eprints.lse.ac.uk/71585/(Letzter Zugriff: 03.05.2017).
[3] Focus Online (2017): Brexit-Gipfel in Brüssel. Einig wie nie: Die EU lässt vor den Brexit-Verhandlungen die Muskeln spielen. http://www.focus.de/politik/ausland/brexit-gipfel-in-bruessel-betont-einig-die-eu-laesst-vor-den-brexit-verhandlungen-die-muskeln-spielen_id_7052071.html (Letzter Zugriff: 15.05.2071).
[4] Bluth, Christian (29. März 2017): Brexit Has Just Been Triggered – What Happens Next? The UK is officially leaving the European Union. We take a closer look at how this works and what happens now. In: GED-New Perspectives on Global Economic Dynamics. https://ged-project.de/topics/international-trade/future_of_eu_single_market/brexit/article-50-has-just-been-triggered-what-happens-next/ (Letzter Zugriff: 15.05.2017).
[5] European Council (2017): European Cuncil (Art. 50) guidelines for Brexit negotioations. http://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2017/04/29-euco-brexit-guidelines/ (Letzter Zugriff: 07.05.17).
[6] European Council 2017.
[7] European Council 2017.
[8] Whitman, Richard G. (2016): The UK and EU foreign, security and defence Policy after Brexit: integrated, associated or detached?. National Institute Economic Review, No. 238, pp R43-R50.
[9] Braniff, Máire/Whiting, Sophie (2017): Deep impact: The fiction of a smooth Brexit for Northern Ireland. Junkture. Vol. 23, pp 249-253.
[10] Tagesschau (2017): Brexit-Verhandlungen: Der Streit um die Rechnung. http://www.tagesschau.de/ausland/london-eu-brexit-rechnung-101.html (Letzter Zugriff: 12.05.2017).
[11] Frankfurter Allgemeine (2017). Großbritannien verlässt die EU: Kommt ein Steuerkrieg mit den Briten? http://www.faz.net/aktuell/brexit/grossbritannien-verlaesst-die-eu-kommt-ein-steuerkrieg-mit-den-briten-14942617.html (Letzter Zugriff: 12.05.2017).
[12] European Council on Foreign Relations (2016): Russia in the Grey Zones. http://www.ecfr.eu/wider/specials/russia_in_the_grey_zones (Letzter Zugriff: 12.05.2017).


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