ILIAS
WB-ILIAS | Weiterbildung und offene Bildungsressourcen

Funktionen

2 Vergleichender Überblick

Ergebnissicherung

Im Folgenden werden die Ergebnisse der thematischen Sitzungen anhand der beiden Leitfragen des Seminars aufgeführt.
Ziel dieser Überlegungen war es durch die gesetzten Fragestellungen zu einem besseren Verständnis der Krisenereignisse zu gelangen, um anschließend eine Evaluation vorzunehmen, inwiefern die jeweiligen Krisenereignisse tatsächlich als Krisen bezeichnet werden können.


1. Worin liegt in den derzeitigen europäischen Krisenereignissen eine Gefährdung für den Frieden in Europa?
  • Rechtsstaatlichkeit:
    • Abbau der Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn
    • Zunahme von Nationalismus u. Berufung auf nationale Volkssouveränität, welche in Verfassungsänderungen evident wurden
      • EU ist nicht mehr in der Lage den europäischen Wertekonsens (u.a. Schutz v. Rechtsstaatlichkeit, Aufrechterhaltung von Gewaltenteilung) durchzusetzen
  • Soziale Ungleichheit:
    • “neue soziale Frage” & Nationalismen,
    • mittelbare & strukturelle Gefährdung des Friedens möglich
    • EU ist nicht in der Lage Lösungen für soziale Ungleichheit auf lokaler & transnationaler Ebene zu finden
      • (Heterogenität der Mitgliedsstaaten + damit verbundene regionale Varietäten)
  • Brexit:
    • Bislang begrenzte Auswirkungen vermutet
      • Ausnahme: Nordirland
    • überwiegender Teil der Bevölkerung hat gegen den Brexit gestimmt
    • könnte zu erneuten Spannung zw. Nordirland, Republik Irland, Großbritannien führen
      • Sicherheitskooperation auf europ. Ebene könnte gefährdet werden
  • Euro-Krise:
    • Handelt sich um: Banken-, Staatsschulden-, Leistungsbilanz- und Vertrauenskrise
    • Gefährdung der europ. Währungsunion
      • Gefährdung des Wohlstands, Folgen könnten neue Problemfelder eröffnen
  • Rechtspopulismus:
    • Innergesellschaftliche Polarisierung, nicht per se schlecht, aber kombiniert mit Nationalismen & protektonistischer Politik
    • Gefährdung des europ. Unionsgedanken
    • (Partei-)politischer Rechtsruck
  • Migration:
    • Divergierendes Verständnis von Solidarität
    • Überwiegen nationaler Präferenzen
    • Unfähigkeit der EU gemeinsame Lösungen auf Basis der geteilten Werte zu vereinbaren
  • Ukraine-Konflikt:
    • Bei weiter Europa-Definition (bis zum Ural) sind die Krisen in & um die Ukraine als Friedensgefährdung bis hin zu schwerem Friedensbruch einzustufen
  • Beziehungen zu Russland & USA:
    • Ungewissheit über politische Entwicklungen in den USA, weder klare Stärkung noch Schwächung des Vergemeinschaftungsgrades
    • Struktur des Friedens wird durch russische Politik gefährdet und es kommt zu einer Schwächung des Vergemeinschaftungsgrades
2. Wie und durch welche Akteure könnte diesen Gefährdungen begegnet werden?
  • Rechtsstaatlichkeit:
    • 2017: Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 EUV, gegen Polen, Tschechien & Ungarn eingeleitet, da Nichteinhaltung von Dublin III-Abkommenweitere Akteure in diesem Spannungsfeld: Oppositionen in den Parlamenten der Länder, zivilgesellschaftliche Akteur*innen
  • Soziale Ungleichheit:
    • EU-Krisenmanagement, jedoch Mitgliedsstaaten sind sich nicht einig; Lösungen divergieren zw. Disziplinierung (z.B. Strukturanpassung) & verstärkte Vergemeinschaftung (z.B. Eurobonds)
  • Brexit:
    • EU verfolgt Ziel eines “weichen Brexits”, Verhandlungen werden frühestens in 2 Jahren abgeschlossen sein, schwer zum jetzigen Zeitpunkt Prognosen abzugeben
  • Euro-Krise:
    • Restriktionen in der Fiskalpolitik
    • Rettungsschirm
    • Konditionale Austeritätspolitik
  • (Rechts-)Populismus:
    • Es bleibt offen, wie dieser Gefährdung begegnet werden kannZiel sollte sein, zivilgesellschaftlichen Gegendiskurs zu aufkommenden Nationalismen zu finden & den hohen Wert des europ. Wertekonsens hochzuhalten
  • Migration:
    • EU Relocation Programme (9/2015): Verstetigung 2016 abgelehnt
    • Dublin III gescheitert
    • Diskutiert werden Dublin IV mit schwachem Verteilungsmechanismus sowie “Flexible Solidarity”
  • Ukraine-Konflikt:
    • EU & USA: Sanktionen gegen Russland
    • Minsker Abkommen
    • Assoziierungsabkommen Ukraine
    • Deutschland & EU: Finanzielle Unterstützung der Ukraine
  • Beziehungen zu Russland & USA:
    • Änderungen in der Sanktionspolitik
    • Engere Zusammenarbeit mit OSZE & NATO
    • Engere Kooperation mit anderen Partnern
    • Diplom. Verhandlungen
    • Interner kritischer Diskurs
    • Ausbau der Zivilmacht

Krise ja/nein?

Nach einer intensiven inhaltlichen Analyse haben die Studierenden eine Bewertung der Krisenereignisse vorgenommen.
In der folgenden Abbildung zeigt sich inwieweit die einzelnen Krisenereignisse als tatsächliche Krisen von den Studierenden evaluiert wurden.

Hypothesenmatrix: Interdependenz & Polarisierung

Um weitere Prognosen über die Wirkkraft der einzelnen Krisenereignisse geben zu können, sowie einen Blick auf die Kommunikation und die Handlungen der internationalen Akteure zu werfen, haben die Studierenden mit Hilfe des von Schimmelfennig et al. (2015) entwickelten theoretischen Modells der differenzierten Integration im Wechselverhältnis zwischen dem Grad der Politisierung und der Interdependenz, die jeweiligen Krisenereignisse in einer Matrix eingeordnet. Anhand welcher sich bestimmte Hypothesen für die Änderungen der Akteursbeziehungen ergeben.
Das bereits im Einführungsmodul vorgestellte Modell wurde in dieser Abbildung um eine weitere Kategorie, i.e. "Medium", ergänzt, um bestimmte Tendenzen besser abbilden zu können.

Zum besseren Verständnis der Abbildung hier noch einmal kurz die möglichen Hypothesen, die sich aus der Matrix ergeben:
  • geringe Interdependenz/niedrige Politisierung:
    • zunächst keine Vergemeinschaftung
    • Krise vor allem auf nationaler Ebene
    • Staaten können möglicherweise der Krise durch Vergemeinschaftung begegnen
  • geringe Interdependenz/hohe Politisierung
    • zunächst keine Vergemeinschaftung
    • Krise vor allem auf nationaler Ebene
    • der Krise wird nicht durch Vergemeinschaftung begegnet
  • hohe Interdependenz/niedrige Politisierung:
    • zunächst keine Vergemeinschaftung
    • Krise auch auf internationaler Ebene
    • Desintegration und Vergemeinschaftungsgrad nimmt ab
  • hohe Interdependenz/hohe Politisierung
    • zunächst keine Vergemeinschaftung
    • vor allem auf nationaler Ebene
    • Bedarf an weiterer Vergemeinschaftung
      • dieser Vergemeinschaftung steht jedoch die Politisierung entgegen
      • Krise kann nicht kollektiv bewältigt werden
Für eine ausführlichere Erklärung der Hypothesenmatrix werfen Sie einen Blick in das Einführungsmodul.

Eigene Darstellung, nach Schimmelfennig, Frank/ Leuffen, Dirk/ Rittberger, Berthold 2015: “The European Union as a system of differentiated integration: interdependence, politicization and differentiation”; in: Journal of European Public Policy, 22 (6), 764-782, DOI: 10.1080/13501763.2015.1020835.
Einordnung der Krisen in den Situationswürfel

Im Folgenden werden die einzelnen Krisen anhand der Ergebnisse aus den Briefingpapers und Dossiers der jeweiligen Sitzung, visuell im Situationswürfel dargestellt. Weitere Informationen zum Situationswürfel finden Sie im Modul "Einführung".
Anhand des vorliegenden Schaubildes lassen sich die verschiedenen Krisenereignisse als Handlungssituationen verorten.
Je weiter sich ein hier gesetzter Punkt am Punkt A) befindet, desto eher ergibt sich aus dem Krisenereignis eine tatsächliche Krise. Invers gilt: Je näher sie am Punkt G) sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die politischen Systeme in der Lage sind mit dem Krisenereignisse umzugehen und weitere negative Auswirkungen zu verhindern.

Hier noch einmal die acht idealtypischen Handlungssituationen (nach Hermann 1973: 53) [1]:

A) Krisensituation: hohes Bedrohungspotential, kurze Entscheidungszeit, Überraschung
B) Innovative Situation: hohes Bedrohungspotential, lange Entscheidungszeit, Überraschung
C) Untätigkeitssituation: niedrige Bedrohungspotential, lange Entscheidungszeit, Überraschung
D) Umstandsbedingte Situation: niedrige Bedrohungspotential, kurze Entscheidungszeit, Überraschung
E) Situation reflexartiger Entscheidung: hohes Bedrohungspotential, kurze Entscheidungszeit, Antizipation
F) Situation intensiver Beratung: hohes Bedrohungspotential, lange Entscheidungszeit, Antizipation
G) Routinierte Situation: niedriges Bedrohungspotential, lange Entscheidungszeit, Antizipation
H) Administrative Situation: niedriges Bedrohungspotential, kurzeEntscheidungszeit, Antizipation
Unsupported Media Type
Videos
Zum Abschluss ein Interview mit dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer indem alle hier angesprochenen Themen noch einmal reflektiert werden:
Phoenix Kamingespräch: Michael Hirz mit Joschka Fischer am 07.07.2017

Quellenverzeichnis

[1] Hermann, Charles (1973): „Indikatoren internationaler politischer Krisen“; in: Jänicke, Martin (Hg.): Herrschaft und Krise. Beiträge zur politikwissenschaftlichen Krisenforschung, Opladen: Westdeut-scher Verlag (UTB), S. 53.


Bisher wurde noch kein Kommentar abgegeben.